Kombinierte Mobilität als Kernstück einer Verkehrsverlagerung: Einblick in zwei aktuelle Studien
Der Ausbau der Veloinfrastruktur zu und in Bahnhöfen als Grundlage für die Kombination von Velo und öffentlichem Verkehr würde unsere Verkehrsmittelwahl beeinflussen. Dies die zentrale Botschaft, die das Forum Velostationen und Bikesharing Schweiz aus zwei aktuellen Publikationen ableitet. Die eine stammt von der Hochschule Luzern (HSLU) und hat im Auftrag des Bundesamtes für Verkehr BAV Massnahmen zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs entwickelt. Die andere ist eine Potenzialabschätzung von EBP Schweiz für den öV, falls Bike & Ride gefördert würde. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte dieser Publikationen zusammengefasst.

Velostation Bahnhof Zürich Foto: Sylvain Smykla
Im Verkehrsbereich ist der Strassenverkehr für 97 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Letztere muss die Schweiz bis 2050 auf null reduzieren (CO2-Gesetz). Deshalb ist dem Bund die Erhöhung des öV- Anteils am Gesamtverkehr ebenso ein Anliegen wie die Verdoppelung der mit dem Velo zurückgelegten Strecke zwischen 2021 und 2035. Die Kombination beider Massnahmen kann daher zur Erreichung des Klimaziels beitragen.
Auf der Grundlage einer Literaturanalyse und Erfahrungen aus dem In- und Ausland entwickelt der Bericht der HSLU 20 Massnahmen zur Erhöhung des ÖV-Anteils am Gesamtverkehr. Drei davon betreffen die kombinierte Mobilität. Die erste ist die Verbesserung des Zugangs zum öffentlichen Verkehrsnetz. Dieser Faktor ist entscheidend, da eine schlechte Erreichbarkeit von Bahnhöfen und Haltestellen die Nutzung des öV reduziert. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern ist die Abdeckung in der Schweiz bereits dicht. Tatsächlich leben hierzulande 96,8 % der Menschen im Umkreis von 5 Kilometern um einen Bahnhof. Diese Entfernung ist laut einer Analyse des Bundesamtes für Raumentwicklung ARE mit dem Velo durchaus machbar und liegt beim Elektrovelo sogar bei 10 bis 15 Kilometern (Gestaltung von Mobilität in Agglomerationen: Das Potenzial des Elektrovelos in Agglomerationen mit weniger als 100'000 Einwohnerinnen und Einwohnern, ARE, 2024). In ländlichen Gebieten ist die Fahrzeit zum öV-Haltepunkt das wichtigste Kriterium für die Nutzung des öV.
Die zweite im Bericht der HSLU geprüfte Massnahme betrifft die Zunahme multimodaler Schnittstellen, auch Verkehrsdrehscheiben genannt. Diese Plattformen zielen sowohl auf eine bessere Anbindung der Randgebiete an die städtischen Zentren als auch auf einen möglichst praktischen Anschluss zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln ab. Die HSLU beschreibt detailliert die Massnahmen, die bereits von den verschiedenen Akteuren (Bund, Kantone, Gemeinden und ÖV-Unternehmen) ergriffen wurden, sowie das damit verbundene Verlagerungspotenzial. Während die Verbesserung des Zugangs zum ÖV als mittelmässig verlagerungswirksam eingeschätzt wird, ist das Potenzial von Verkehrsdrehscheiben laut Bericht gering.
Die dritte von der HSLU aufgeführte Massnahme - verbunden mit den beiden bereits genannten - betrifft die Bereitstellung von Sharing-Angeboten und deren Integration in multimodale Mobilitätsangebote. Die Bereitstellung eines dichten Bikesharing-Netzes kann die Hürden für die Nutzung des öV verringern und dessen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem motorisierten Individualverkehr (MIV) stärken.
Laut der Analyse von EPB Schweiz birgt die Förderung von „Bike & Ride“ ein grosses Potenzial für eine Verlagerung des Individualverkehrs auf den öV. Die Autor:innen der Studie beziffern das Potenzial in Wohngebieten im Umkreis von 5 km um einen Bahnhof auf 23 %. Ihre Ergebnisse stützen sich zum einen auf eine vergleichende Analyse von Daten für die Schweiz und die Niederlande. Letztere ist für ihre weit entwickelte Velo-Infrastruktur, zu der auch Abstellanlagen gehören, bekannt. Zum anderen wurden Fallstudien aus Deutschland und Kanada ausgewertet. Die Faktoren, die die kombinierte Mobilität von Velo und öV beeinflussen, sind in der ausländischen und schweizerischen Literatur umfassend beschrieben. Das ASTRA hat beispielsweise 2015 drei zentrale Massnahmen zur Steigerung des Potenzials von Elektrovelos identifiziert. Es sind dies lange Strecken hoher Qualität (separate Radwege, Unterbruchsfreiheit, keine Wartezeiten), Verkehrstrennung sowie sichere und bahnhofsnahe Veloabstellplätze ("Veloverkehr in den Agglomerationen – Einflussfaktoren, Massnahmen und Potenziale", ASTRA/SVI, 2015). Was muskelbetriebene Velos betrifft, so ergab eine in den Niederlanden durchgeführte Forschung, wo 39 % der Bahnkundschaft mit dem Velo zum Bahnhof gelangt, drei entscheidende Merkmale: die Qualität des Angebots, der Preis für das Abstellen und die Zugänglichkeit. Diese Faktoren beeinflussen die Entscheidung, ob man zum Bahnhof fährt oder nicht.
Anschliessend hat EBP diese Literatur mittels einer Nachfragemodellierung auf der Basis des nationialen Personenverkehrsmodells (NPVM) des Bundes überprüft. Mit dem Modell kann Mobilitätsverhalten analysiert und prognostiziert werden. Die Modellierung zeigt, dass mit einer Verlagerung von 23 % ein grosses Potenzial besteht. Darüber hinaus könnten durch eine Verbesserung der Velowege die Fahrzeiten mit dem Velo zu den Bahnhöfen um etwa 20 % reduziert werden.
Letztlich kommt EBP zum Schluss, dass zur Erreichung des Ziels, die Anzahl der mit dem Velo zurückgelegten Kilometer und Fahrten bis 2035 gegenüber 2021 zu verdoppeln, ein stärkerer Fokus auf Bike and Ride gelegt werden muss, diese Form der intermodalen Mobilität im gesamten Verkehrssystem zu stärken und die Erreichbarkeit der Bahnhöfe sowie die Qualität der Veloabstellplätze an Bahnhöfen deutlich zu verbessern.
Links zu den Berichten:
Nachfragepotenzial-B-R-Nutzung-Sch.pdf
Massnahmen zur Steigerung des Anteils des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehr
https://www.velostation.ch/de/aktuelles/artikel/kombinierte-mobilitaet-als-kernstueck-einer-verkehrsverlagerung-einblick-in-zwei-aktuelle-studien